Kreativität als Selbstausdruck – 3 Lektionen, die ich durch Kreatives Schreiben gelernt habe

Kreativität als Selbstausdruck – 3 Lektionen, die ich durch Kreatives Schreiben gelernt habe

Ich hatte während meines aktuellen Aufenthalts in Triest die Möglichkeit, zum zweiten Mal an einem Basiskurs der Caviardage-Methode teilzunehmen. Das ist eine geschützte Technik für kreatives Schreiben, bei der es darum geht, aus einzelnen alten Buchseiten – durch das Highlighten einzelner und das Löschen (Covern) der übrigen Wörter – ein neues Gedicht entstehen zu lassen. Diese Erfahrung hat mich einiges über Kreativität als Ausdruck des eigenen Selbst gelehrt.

 

Die Caviardage-Methode

Kurz für alle, die von der Caviardage-Methode noch nie etwas gehört haben (was vermutlich ziemlich viele sein werden, denn die Methode ist von der Italienerin Tina Festa entwickelt worden und wird derzeit – soweit ich weiß – nur in Italien praktiziert und gelehrt): Es geht darum, Poesie auf Grundlage von bereits existierenden Texten zu schaffen. Als Ausgangsbasis gilt dabei immer eine herausgerissene Seite eines beliebigen Buches oder Magazins. Darauf werden – ohne den Text sinnerfassend zu lesen – einzelne Worte markiert, die dem Leser*der Leserin in diesem Moment ins Auge springen. Aus diesen Worten (meist sind es zirka fünf bis acht) wird dann ein Kurzgedicht formuliert. Im Anschluss werden alle restlichen Worte der ursprünglichen Buchseite gecovert (dafür gibt es unterschiedliche Techniken), sodass nur noch die jeweils ausgewählten Worte übrigbleiben. Die Seite kann dann, je nach Thema des Gedichtes, noch individuell verziert werden – durch Malen, Kleben, usw. Am Ende wird das entstandene Gedicht auf eine freie Stelle geschrieben, und das individuelle Kunstwerk ist fertig.

 

Kreativität entsteht immer im Jetzt

Ganz zu Beginn unseres Basis-Kurses hat unser Workshopleiter betont, wie wichtig es sei, unter jedes neue Gedicht das aktuelle Datum sowie die eigene Unterschrift zu setzen. Denn jede kreative Schöpfung sei ein einzigartiges Ergebnis des eigenen Befindens im jeweiligen Moment. Wir sind immer beeinflusst durch unglaublich viele äußere und innere Eindrücke. So kann es sein, dass wir an einem Tag glücklich über das strahlende Wetter und das gute Frühstück sind, darüber, dass wir gerade Urlaub machen und darüber, dass wir gestern ein so nettes Abendessen mit Freunden erlebt haben; und am nächsten Tag wütend oder genervt, weil wir einen Anruf aus der Arbeit bekommen haben, weil wir uns an einen Streit mit der Familie erinnern oder einfach, weil wir schlecht geträumt haben. Die gleiche Ausgangsbasis (also die Buchseite, auf der es Worte zu finden gilt, die mich gerade im jetzigen Moment ansprechen) kann also an jedem Tag ein völlig neues Endprodukt zur Folge haben. Diesen Gedanken finde ich spannend und so wahr.  

Kreativität lässt sich nicht reproduzieren. Kreative Prozesse sind nicht linear. Sondern sie sind von so vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Kreative Ergebnisse lassen sich nicht vorhersehen.

Wie oft denken wir aber, genau das tun zu müssen? Wie oft zwingen wir uns dazu, ein gewissen Ergebnis zu erzeugen, noch bevor wir überhaupt in den kreativen Prozess eintauchen? Ich für meinen Teil ziemlich oft. Doch genau das erstickt den kreativen Flow noch bevor er überhaupt die Möglichkeit hat, langsam zu entstehen. Dann ist es nicht der Prozess der uns leitet, sondern wir selbst sind es, die krampfhaft versuchen, uns eine kreative Leistung abzuringen. Und diese ist dann in vielen Fällen: holprig, unbefriedigend, unkreativ. 

 

 

Lektion 1 ist also: Um kreativ sein zu können, braucht es ein gewisses Maß der Selbstannahme – sowie der Annahme der äußeren Umstände – im gerade stattfindenden Moment.

Kreativität braucht geschützte Räume

Die eigene Kreativität ist nicht immer laut, bunt, selbstbewusst und groß. In vielen Fällen hilft uns kreativer Ausdruck, bestimmte Emotionen in Worte, Bilder, Lieder… zu fassen, die tief in uns versteckt sind. Manchmal brauchen wir Zeit und Zuspruch, um uns zu trauen, gewisse Dinge auszudrücken – und vielleicht sogar anderen zu zeigen. Ein falsches Wort, ein schräger Blick oder zu schnelle Auf- bzw. Abwertung können diesem Prozess hinderlich sein. Um der eigenen Kreativität Ausdruck zu verleihen, ist es also wichtig, eine nicht bewertende Umgebung zu erschaffen. Was ich in unserem Kurs so anregend und bereichernd fand, ist die Tatsache, dass wir immer wieder unsere Gedichte und kreativen Werke vorgelesen bzw. präsentiert haben. Dass jedoch niemand dazu aufgefordert wurde, Feedback zu geben. Es gab keinerlei Bewertung in Form von ‚gut‘ oder ‚verbesserungsfähig‘ oder ‚schlecht‘. „Dein Ergebnis ist dein Ergebnis“, sagte unser Workshopleiter. Es ging also in keinem Moment darum, sich durch seine kreative Leistung zu beweisen oder von den anderen abzuheben. Das Kunstwerk stand für sich. Damit war es uns als Teilnehmer*innen möglich, uns zu 100 Prozent selbst auszudrücken – egal, was dabei herauskam. 

Ich halte mich beispielsweise für eine ziemlich schlechte Zeichnerin. Sah deshalb manches aus, als hätte es ein kleines Kind gemalt? Vermutlich. Aber darum ging es nicht.

Es ging darum, die eigene Inspiration, die eigenen Gedanken und Gefühle zu bestimmten Themen im aktuellen Moment auszudrücken. Nicht mehr und nicht weniger. Dadurch wurde es uns möglich, uns mit uns selbst zu verbinden und der eigenen Innenwelt Ausdruck zu verleihen, ohne die Bewertung anderer befürchten zu müssen.

Es gab keine Vergleiche. Stattdessen haben wir uns gegenseitig von unseren Erfahrungen berichtet und uns erzählt, was wir ausdrücken wollten und warum. 

 

 

 

Lektion 2 ist folglich: Kreativität stirbt mit Bewertung und blüht auf in einem sicheren Umfeld.

Kreativität bedeutet Weglassen

Und noch etwas, das unser Workshopleiter scheinbar nebenbei erwähnt hat, ist mir im Gedächtnis geblieben. Während des Schreibens eines meiner Gedichte habe ich versucht, noch ein Wort, das ich ursprünglich gewählt hatte, irgendwie schlüssig unterzukriegen. Irgendwie klang alles holprig. Im Vorbeigehen hat er gesagt: „Wieso lässt du es nicht einfach weg? Dein Gedicht ergibt doch jetzt schon Sinn…“ Und er hatte Recht. Im Folgenden hat er uns alle ermuntert, manchmal einfach den weniger komplexen Weg zu gehen, uns nicht auf ‚großartige Ergebnisse‘ oder ‚einzigartige Eloquenz‘ zu versteifen. Sondern einfach in wenigen, simplen Worten ein Gefühl auszudrücken. Punkt.  

Diese Aufforderung hat mich persönlich ins Herz getroffen. Denn ich tappe selbst immer wieder in die Falle, besonders monumentale Dinge erschaffen zu wollen. Mich abheben zu wollen. Irgendwie ‚besonders‘ sein zu wollen – durch eine ganz großartige Leistung.

Vielleicht geht es jemandem ähnlich.

Häufig stülpen wir uns große Worte, große ‚Hüllen‘ über, um besonders toll und einzigartig zu wirken - und entfernen uns damit vom eigentlichen Kern dessen, was in uns ist und durch uns ausgedrückt werden möchte. Und das ist eben manchmal viel weniger, viel leiser, viel simpler als gedacht. 

 

 

 

 

Meine 3. Lektion ist demnach: Kreativ zu sein bedeutet zu verstehen, dass der einfache Weg ausreicht.

Was für eine Erleichterung, oder?

 

Schreib mir gerne, ob dich eine meiner persönlichen Lektionen auch berühren konnte.

Ich freue mich darauf!

 

Bis bald bei den nächsten Impulsen für ein kreatives Leben! 

Deine Edith  

 

(PS: Den Kurs habe ich übrigens in Triest bei meinem Freund Leonardo Chiti belegt. Er betreibt mit seiner Frau Marta eine Agentur für kreative Erlebnisse in und um Triest: https://www.ambasceriacult.it/)